Quelle: www.bundesrat.de
Bundessozialgerichts zur Abgrenzung der Aufgaben von Betreuer/innen von den Aufgaben der Eingliederungshilfe
Eigentlich müsste es seit langem (zumindest Mitarbeiter/innen von Sozialbehörden und -versicherungen) bekannt sein: Aufgabe von Betreuer/innen im Sinne der §§ 1896 ff BGB ist die rechtliche Betreuung. Das ergibt sich schon aus dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes – in § 1901 Abs. 1 BGB heißt es: „Die Betreuung umfasst alle Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten nach Maßgabe der folgenden Vorschriften rechtlich zu besorgen.“
Damit dürfte zumindest eindeutig geklärt sein, dass tatsächliche Hilfeleistungen nicht zu den Betreueraufgaben gehören. In der betreuungsrechtlichen Fachliteratur ist dies auch durchgehend anerkannt. So heißt es z.B. bei Jurgeleit-Kieß, Betreuungsrecht, § 1901 BGB Rn. 21: „Rechtsfürsorge meint, dass der Betreuer vor allem durch rechtliches Handeln die notwendigen tatsächlichen Maßnahmen für den Betreuten veranlasst. Der Betreuer schuldet die Befriedigung der Lebensbedürfnisse des Betreuten jedoch nicht in Person; Tätigkeiten im pflegenden und versorgenden Bereich sowie allgemeine therapeutische Maßnahmen gehören nicht zu den nach § 1901 BGB zu besorgenden Angelegenheiten. Er ist nur für die Organisation der erforderlichen tatsächlichen Maßnahmen verantwortlich … Er hat Dienstleister zu beauftragen, um die Lebensbedürfnisse abzudecken.“
Trotzdem sind langwierige Auseinandersetzungen mit Dritten um die Aufgaben von Betreuer/innen an der Tagesordnung. Es gibt wohl kaum einen Berufsbetreuer, dem noch nicht von einer Einrichtung angetragen wurde, seinen Klient/innen zum Facharzt zu begleiten oder ähnliche Tätigkeiten zu erbringen.
In einer neueren Entscheidung hat sich das Bundessozialgericht (BSG - Urteil vom 30.6.2016, Az. B 8 SO 7/15) mit den Aufgaben von Betreuer/innen i.S.d. §§ 1896 ff und der Abgrenzung von den Aufgaben der Eingliederungshilfe auseinandergesetzt. Über den genauen Hintergrund des Streits ist nicht sehr viel bekannt. Der Kostenträger war von der Vorinstanz zur teilweisen Übernahme der Kosten für ein Betreutes Wohnen verurteilt worden. In der Revisionsinstanz führte er nun an, dass das Landessozialgericht „das Verhältnis zwischen rechtlicher Betreuung und sozialer Betreuung im Rahmen der Sozialhilfe verkannt“ habe. Er war also offenbar der Meinung, dass die Leistungen des Betreuten Wohnens zumindest teilweise Aufgabe des Betreuer gewesen wären und deshalb eine Finanzierung durch den Sozialhilfeträger ausscheide.
Das BSG hat dazu deutliche Worte gefunden und führt in seinem Urteil u.a. aus:
„(…)Zur Unterscheidung von rechtlicher Betreuung und Leistungen des Ambulant-betreuten-Wohnens ist zu beachten, dass die Betreuung nicht auf die tatsächliche Verrichtung von Handlungen durch den Betreuer anstelle des Betreuten zielt, sondern auf die rechtliche Besorgung von Angelegenheiten: Der Betreuer handelt als Vertreter (§ 1901 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch , § 1902 BGB). Wie der Bundesgerichtshof deshalb unter Würdigung des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes vom 25.6.1998 (BGBl I 1580) zur Abgrenzung von ,Leistungen der Sozialhilfe‘ von solchen der rechtlichen Betreuung zutreffend ausgeführt hat (Urteil vom 2.12.2010 - III ZR 19/10), sind von der rechtlichen Betreuung Tätigkeiten nicht erfasst, die sich in der tatsächlichen Hilfeleistung für den Betroffenen erschöpfen, ohne zu dessen Rechtsfürsorge erforderlich zu sein. Der Betreuer ist vielmehr nur verpflichtet, solche Hilfen zu organisieren, nicht aber, sie selbst zu leisten. Zielt die Hilfe auf die rein tatsächliche Bewältigung des Alltags, kommt eine Leistung der Eingliederungshilfe in Betracht; zielt sie indes auf das Ersetzen einer Rechtshandlung, ist der Aufgabenbereich des rechtlichen Betreuers betroffen. Dies gilt bei Leistungen der Beratung und Unterstützung (als Hilfen zur Entscheidung) gleichermaßen (vgl. dazu auch Empfehlung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Abgrenzung von rechtlicher Betreuung und Sozialleistungen, 2008, S. 38 f): Sind diese auf das Ob und Wie der Erledigung rechtlicher Belange ausgerichtet, sind sie der rechtlichen Betreuung zuzuordnen, ansonsten ist der Aufgabenbereich Eingliederungshilfe betroffen.
Zwar
können beide Bereiche im Einzelfall ggf. Berührungspunkte aufweisen.
So hat der rechtliche Betreuer auch darauf hinzuwirken, dass durch
geeignete Leistungen Dritter u.a. eine Behinderung des Betreuten
beseitigt oder ihre Auswirkungen verbessert werden (vgl. § 1901 Abs. 4
Satz 1 BGB; vgl. auch § 60 SGB IX), sodass die rechtliche Betreuung erst
die Grundlage dafür schaffen kann, dass Leistungen der sozialen
Betreuung überhaupt beansprucht werden (Ließfeld, Betreuungsrecht in der
Praxis, 2012, S 99). Sollte aber nicht bereits anhand von Zweck und
Ziel der Leistung eine Abgrenzung erfolgen können, ist bei der
Beurteilung, durch welche Maßnahme ein Bedarf zu decken ist, zu
beachten, dass nicht nur die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung
selbst (dazu Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 2.7.2010 - 1 BvR
2579/08), sondern auch die ersetzenden Handlungen des Betreuers einen
Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen darstellen (so
auch Stölting/Greiser, SGb 2016, 136, 142; ähnlich zum Verhältnis
Budgetassistenz und rechtliche Betreuung Welti, BtPrax 2009, 64, 66).
Decken sie den geltend gemachten Bedarf, dürften Leistungen der
Eingliederungshilfe, die auf das gleiche Ziel gerichtet sind, nicht mehr
zu erbringen sein (§ 2 Abs. 1 SGB XII). Dies gilt allerdings nur, wenn
diese oder andere Hilfen, die auf das gleiche Ziel gerichtet sind,
tatsächlich erbracht werden. Selbst wenn ein Anspruch besteht, reicht
dies nicht aus (…)“
Quelle: BDB Landesgruppe Hessen bdb-ev.de am 10.10.2016
Gesetzgebungsverfahren | Datum23. Juni 2020cpv-Code:
Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts
Das Vormundschaftsrecht stammt in weiten Teilen aus der Entstehungszeit des Bürgerlichen Gesetzbuchs aus dem Jahr 1896. Es enthält detaillierte Regelungen zur Vermögenssorge des Vormunds, die allerdings weithin die Verhältnisse um das Jahr 1900 abbilden, und nur wenige Regelungen zur Personensorge. Durch zahlreiche Ergänzungen und Änderungen ist das Vormundschaftsrecht unübersichtlich geworden und bildet die aktuelle Praxis nicht zutreffend ab. Hinzu kommt, dass das im Jahr 1992 eingeführte Betreuungsrecht vor allem zur Vermögenssorge und zur gerichtlichen Aufsicht auf die Regelungen für den Vormund verweist. Dies führt zur Unübersichtlichkeit und birgt für die Rechtsanwender etliche Probleme.
Eine mitunter unzureichende Personensorge hat bereits im Jahr 2011 zu einer Änderung des Vormundschaftsrechts geführt. Nunmehr soll das Vormundschaftsrecht nach dem Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode umfassend reformiert werden, um die Personensorge für Minderjährige zu stärken und die Vorschriften zur Vermögenssorge zu modernisieren.
Auch das Betreuungsrecht bedarf einer grundlegenden Modernisierung. Die Ergebnisse der beiden in den Jahren 2015 bis 2017 im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) durchgeführten Forschungsvorhaben zur „Qualität in der rechtlichen Betreuung“ (Matta/Engels/Brosey/Köller u.a., Abschlussbericht, Bundesanzeiger Verlag 2018) und zur „Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungs-rechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen“ (Nolting/Zich/Tisch/Braes-eke, Abschlussbericht, Band I und II, Bundesanzeiger Verlag 2018) haben gezeigt, dass das Gebot größtmöglicher Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen im Sinne von Artikel 12 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BGBl. 2008 II S. 1419, 1420; UN-Behindertenrechtskonvention, UN-BRK) im Vorfeld und innerhalb der rechtlichen Betreuung nicht durchgängig zufriedenstellend verwirklicht ist und es zudem Qualitätsmängel bei der praktischen Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben gibt, die auch Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen erforderlich machen.
Quelle:
https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Reform_Betreuungsrecht_Vormundschaft.html
Bundestag stimmt für mehr Selbstbestimmung im Vormundschafts- und Betreuungsrecht
Der Gesetzentwurf zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts wurde am 05.03.2021 von den Abgeordneten des Bundestages angenommen.
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw48-de-vormundschaftsrecht-807788